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Impressum aktualisiert am 03.03.2006 11:20 |
Die jungen Wilden und die Schach-Legende
Bei den Internationalen Fränkischen Großmeistertagen in Waischenfeld dreht sich (fast) alles um Altmeister Viktor Kortchnoi
REPORTAGE VON JAN FISCHER (Frankenpost)
Egal, wer am Sonntag die dritte Auflage der Internationalen Fränkischen Großmeistertage in Waischenfeld gewinnen wird: Viktor Kortchnoi ist der uneingeschränkte Star des hochkarätig besetzten Schachturniers in der Fränkischen Schweiz. Der 74-Jährige ist eine lebende Schach-Legende, die Denksport-Fans haut- und bisweilen volksnah erleben können.
„Kortchnoi ist mein absolutes Vorbild.“ So wie dem Bindlacher Jugendspieler Michael Herrmann geht es vielen, die in diesen Tagen in die „Pulvermühle“ kommen. Sie möchten „Viktor den Schrecklichen“ live sehen. Schon am Wochenende erwies sich Kortchnoi als Besuchermagnet: Über 200 Kiebitze waren bei den ersten beiden Runden dabei, standen dicht an dicht im Turniersaal oder verfolgten im Raum nebenan die Kommentare von Großmeister Klaus Bischoff.
Auch unter der Woche reißt das Interesse nicht ab. Einige dutzend Zuschauer recken die Hälse, die Blicke richten sich vor allem auf das Brett, an dem Viktor Kortchnoi spielt. 3000 Besucher klicken tagtäglich auf die weltweite Live-Übertragung im Internet – Tendenz steigend. Dass noch neun andere Schach-Strategen um den Turniersieg kämpfen, scheint fast zur Nebensache zu geraten – auch wenn das internationale Feld mit bekannten Namen wie Artur Jussupow, Jan Gustafsson oder dem Waischenfelder Michael Bezold gespickt ist. Noch bis Sonntag dreht sich (fast) alles um Kortchnoi.
Bretter frei für Runde vier. Viktor Kortchnoi muss gegen Jan Gustafsson antreten. Mit den schwarzen Steinen geht’s gegen den Turniersieger von 2004. Der Altmeister ist im Zugzwang: Nur 1,5 Punkte hat er aus den ersten drei Partien geholt – der 26-jährige Gustafsson hat bereits 2,5 Zähler auf dem Konto.
Doch nicht Kortchnoi macht zunächst das Spiel, sondern der Gegner, der sein Enkel sein könnte. Aus der Nimzoindischen Eröffnung kommt Gustafsson besser heraus. Kortchnoi lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen: Er verschränkt die Arme, stützt den Kopf auf die Hände, lehnt sich zurück. Überlegen sitzt er da, faltet die Hände, würdigt seinen Kontrahenten kaum eines Blickes. Die Augen fixieren ständig das Brett. Kortchnoi ist in seine Partie vertieft. Die leisen Schritte der Zuschauer, die sanft surrenden Computer – er nimmt sie nicht wahr.
In Sichtweite hat seine Frau Petra Platz genommen. Sie, seine ständige Begleiterin durch die Schachwelt, blättert im Roman „Dunkle Rosen“ von Nora Roberts. Nur selten steht sie einmal auf, schaut auf das Brett ihres Mannes. Regungslos nimmt sie zur Kenntnis, was er spielt – setzt sich wieder und liest weiter. Später greift sie zu einem Klatschblatt und löst ein paar Kreuzworträtsel.
Erst nach einer halben Stunde erhebt sich Kortchnoi erstmals von seinem gepolsterten Stuhl. An den vier anderen Partien zieht er vorbei, nur kurz sieht er sich an, was die Konkurrenz bietet. Dann ist er selbst wieder am Zug. Die Partie ist mittlerweile in etwas ruhigere Fahrwasser übergegangen. Jetzt ist Taktieren angesagt, jetzt wird gepokert – wer wagt zuerst etwas? „Das ist staubtrocken, was der spielt“, kommentiert Klaus Bischoff nebenan. „Nicht leicht für Schwarz“ sei die Partie zu spielen, meint er. Nicht leicht für Kortchnoi. Eineinhalb Stunden sind vorbei.
Thomas Bezold verfolgt das Geschehen stets aufmerksam, unaufgeregt. Er ist der „Macher“ des zweitstärksten Schach-Einladungsturniers in Deutschland. Hinter den Kulissen sorgt der Waischenfelder dafür, dass alles reibungslos läuft. Ein Großteil seiner Arbeit ist aber bereits beendet. Denn im Vorfeld des Turniers galt es, ein interessantes Teilnehmerfeld in die kleine Stadt im Landkreis Bayreuth zu locken. Der klangvolle Name Kortchnoi sollte schon bei der zweiten Auflage der Großmeistertage vor zwei Jahren die Zugnummer sein, verrät Bezold. Doch die Teilnahme scheiterte an terminlichen Problemen. „Diesmal haben wir ihn ein Jahr vorher verpflichtet.“ Der Ruf der „Pulvermühle“ als Turnierort und persönliche Gespräche mit Bezolds Bruder, Großmeister Michael, hätten den Schweizer überzeugt. Thomas Bezold freut sich über diesen Coup: „Man muss ja immer damit rechnen, dass er sich einmal vom Turnierschach zurückzieht. Andere wie Kasparow haben ja schon mit 50 aufgehört.“
Niemand aus dem fachkundigen Publikum freilich glaubt ernsthaft, dass dies Kortchnois letztes Turnier sein könnte. Dazu ist der Altmeister mit viel zu viel Engagement und Energie bei der Sache. Nach fast zwei Stunden Spielzeit spielt sich, wie an jedem Tag, ein kleines Ritual ab: Petra Kortchnoi geht zum Schiedsrichter, überreicht ihm Plätzchen und Pralinen, der Schiedsrichter bringt die Süßigkeiten zu Viktor. Der schenkt sich dazu noch Tee aus der selbst mitgebrachten Thermoskanne ein – und schaut unentwegt auf die 64 Felder.
Inzwischen ist die Partie in ein Endspiel mit Damen und Türmen gemündet. Gustafsson schnappt sich einen Bauern – ist das schon der Sieg? Doch Kortchnois Kampfgeist ist erwacht, er zwingt seinen Kontrahenten zum Rückzug. Die Partie ist wieder offen. Nach drei Stunden bietet Kortchnoi ein Remis an, Gustafsson schlägt nach kurzem Überlegen ein. Mit einem Unentschieden endet Kortchnois „Arbeitstag“.
Umlagert von Zuschauern geht’s im Nebenzimmer weiter. Die Kontrahenten spielen noch einmal die Partie nach. Gesten- und wortreich – auf Englisch – gibt Kortchnoi seine Einschätzungen zum Besten. In einer Variante sieht er Gustafsson klar im Vorteil: „Da ist nichts mehr zu machen! Was soll ich noch tun? Ich glaube, es ist verloren.“ Der Altmeister sagt’s mit einem Lächeln auf den Lippen. Wieder einmal hat er einem der „jungen Wilden“ ein Schnippchen geschlagen.
Nun ist die Zeit der Reporter und Autogrammjäger. Kortchnoi unterschreibt Bücher, Partieformulare, vermerkt das Datum darauf. Die Fans - auch Michael Herrmann - bekommen leuchtende Augen. Einer spricht den 74-Jährigen direkt an: „Herr Kortchnoi, Sie sind mein Idol. Wegen Ihnen habe ich vor 30 Jahren mit dem Schach angefangen.“